Beschluss #45921
geschlossenOffener Brief an die Meinungsforschungsinstitute - zum Beschluss im Umlauf
Beschreibung
Anbei ein Antrag von Patrick:
Antrag:
Der BuVo möge beschließen, einen offenen Brief (Brief untenstehend) an
- INSA, Forschungsgruppe Wahlen, Infratest Dimap, Infas, YouGov, Civey, Emnid, Allensbach, Forsa, GMS, BVM Berufsverband Deutscher Markt- und Sozialforscher e.V., ADM - Arbeitskreis Deutscher Markt- und Sozialforschungsinstitute e.V.
- ARD, ZDF, Focus, Bild am Sonntag, RTL/ntv, Stern, Europäisches Parlament (Anm.: plant eigene Wahlumfragen)
- Presserat zu senden.
Begründung
vor einigen Wochen ist die erste Umfrage zur Europawahl veröffentlicht
worden (INSA). Sie weist das Ergebnis kleiner Parteien nicht aus.
Vor diesem Hintergrund habe ich einen Offenen Brief an
Meinungsforschungsinstitute und ihre Auftraggeber (Rundfunk/Verlage)
zum Thema "diskriminierungsfreie Wahlumfragen zur Europawahl" entworfen:
https://cryptpad.fr/pad/#/2/pad/edit/NAgCZElFksSQ3YEKzeFkgYaz/
ÖDP und Diem25 zeichnen den Brief mit.
Carsten war zwar in die Ausarbeitung eingebunden, es gibt aber m.W. noch
keinen BuVo-Beschluss über die Unterzeichnung durch die Piratenpartei.
Könntest du den Beschluss einholen, damit wir den Brief auf den Weg
bringen können?
Offener Brief:
https://cryptpad.fr/pad/#/2/pad/edit/NAgCZElFksSQ3YEKzeFkgYaz/
Europas demokratische Vielfalt abbilden – Wahlumfragen diskriminierungsfrei gestalten
Sehr geehrte Damen und Herren,
Europa hat einen immer größeren Einfluss auf das Alltagsleben seiner Bürgerinnen und Bürger und steht vor zahlreichen Herausforderungen. Das Europäische Parlament entscheidet Zukunftsfragen und macht EU-Gesetze. 2019 steht die nächste Europawahl an.
„In Vielfalt geeint“ ist das Motto der Europäischen Union. Diese gesellschaftliche Vielfalt unter den 500 Mio. Europäern spiegelt sich auch politisch wieder. Über 220 Parteien sind zurzeit im Europäischen Parlament vertreten, darunter 14 deutsche Parteien (Quelle: votewatch.eu).
In Deutschland gilt für die Europawahl seit 2014 keine Sperrklausel mehr (Quelle: Bundeswahlleiter). Pläne bestimmter Parteien, zur Europawahl 2019 eine 2%-Sperrklausel wieder einzuführen, sind nach Medienberichten wieder aufgegeben worden.
Ohne Sperrklausel konnten 2014 kleine Parteien ab ca. 180.000 Stimmen (0,6% der abgegebenen Stimmen) einen Sitz im Europäischen Parlament erringen. Die „faktische Sperrklausel“ lag bei 0,5%. Mit zusammen mehr als 2 Mio. Wählerstimmen sind sieben Abgeordnete kleiner Parteien gewählt worden.
Dieser Situation wird es nicht gerecht, wenn deutsche Wahlumfragen zur Europawahl Ergebnisse noch immer erst ab 3% oder gar 5% ausweisen. Wir halten es für dringend geboten, dass in Umfragen zur Europawahl die Ergebnisse aller aussichtsreicher Parteien (ab 0,5% der Stimmen) ausgewiesen werden:
Die Öffentlichkeit erwartet von einer Wahlumfrage Aufschluss über das mögliche Ergebnis der Wahl, insbesondere über die Zusammensetzung des nächsten Europäischen Parlaments. Von einer „repräsentativen“ Stichprobe erwartet die Öffentlichkeit ein „zwar verkleinertes, aber sonst wirklichkeitsgetreues Abbild der Gesamtheit“. Umfragen, die aussichtsreiche Parteien nicht ausweisen, sind nicht wirklichkeitsgetreu und können kaum als „repräsentativ“ bezeichnet werden.
Umfrageergebnisse, die aussichtsreiche (kleine) Parteien nicht ausweisen, erwecken in der Öffentlichkeit den falschen Eindruck der Geltung einer Sperrklausel für die Europawahl.
Umfrageergebnisse können das Wahlverhalten beeinflussen. Werden aussichtsreiche kleine Parteien in Umfrageergebnissen nicht ausgewiesen, erscheinen die „Sonstigen“ für den flüchtigen Rezipienten fälschlich als chancenlos. Dies verzerrt den politischen Wettbewerb und ist mit dem Recht aller Parteien auf Chancengleichheit unvereinbar.
Besonders bei den schon im Europäischen Parlament vertretenen Parteien ist es nicht zu rechtfertigen, aussichtsreiche Ergebnisse in Meinungsumfragen nicht zu erheben oder nicht zu veröffentlichen.
Unvollständige Umfrageergebnisse erwecken in der Öffentlichkeit den falschen Eindruck einer Irrelevanz kleiner Parteien. Dabei haben gerade im Europäischen Parlament Abgeordnete kleiner Parteien zum Teil großen Einfluss auf die Parlamentsarbeit (z.B. als Berichterstatter des Parlaments) oder auf deren Wahrnehmung.
Wenn Umfrageergebnisse als einzige Alternative zu etablierten Parteien die AfD ausweisen, können sie unzufriedene Wählerinnen und Wähler in die Arme dieser nationalistischen Partei treiben. Sie können auch dazu führen, dass mit dem ausgewiesenen politischen Angebot unzufriedene Wählerinnen und Wähler resignieren und nicht mehr zur Wahl gehen, was die Beteiligung an der Europawahl weiter drückt.
In anderen EU-Ländern wie Frankreich, Italien oder Spanien ist es selbstverständlich, dass Wahlumfragen Ergebnisse auch unterhalb von 1% oder 2% ausweisen. Dies erfolgt auch bei Stichproben von 1.000 Personen.
Wir appellieren daher an die deutschen Umfrageinstitute und ihre Auftraggeber, Umfragen zur Europawahl nur so durchzuführen, in Auftrag zu geben und zu veröffentlichen, dass die Ergebnisse aller aussichtsreichen Parteien (ab 0,5% der Stimmen) ausgewiesen werden. Dies setzt bei den Auftraggebern selbstverständlich die Bereitschaft zur Finanzierung der erforderlichen Erhebungen voraus. Erläuterungen der begrenzten Aussagekraft sind demgegenüber kein Ersatz für ausreichende Erhebungen.
Wir wünschen uns darüber hinaus, dass Umfrageergebnisse die Zahl der Unentschlossenen und derjenigen Befragten, die nicht zur Wahl gehen wollen, offenlegen (entsprechend der „Richtlinie für die Veröffentlichung von Ergebnissen der Wahlforschung“). Diese Zahlen führen der Öffentlichkeit die Offenheit des Wahlausgangs und den Parteien die Notwendigkeit der Ansprache von Nichtwählern deutlich vor Augen.
Bei thematischen Fragen zur Europawahl (z.B. nach Parteikompetenzen oder wahlentscheidenden Themen) wünschen wir uns von den Auftraggebern eine Offenheit für neue Themen abseits des politischen Mainstreams. Dies belebt den politischen Wettbewerb um die besten Ideen und kann neue Begeisterung für Europa wecken.
Wir freuen uns auf Ihre Rückmeldung zu diesem Offenen Brief und führen mit Ihnen gerne auch ein persönliches Gespräch zu unserem Anliegen. Wir haben gleich lautende Briefe an verschiedene Meinungsforschungsinstitute, Auftraggeber von Wahlumfragen und den Deutschen Presserat versandt.
Mit freundlichem Gruß